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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 05.05.2003


Gibt es eine Frauenperspektive in der Außen- und Sicherheitspolitik?
Gerlinde Behrendt

Eine Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin am 30. April 2003 analysierte den Gender Mainstreaming Aspekt in männerdominierten Politikbereichen




Gender Mainstreaming - in "harten" Politikbereichen eine Herausforderung

Plötzlich wird überall über Gender Mainstreaming geredet. Kein Wunder, denn es geht um Geld: Die Europäische Union verknüpft finanzielle Zuwendungen an geförderten Einrichtungen mit dem Nachweis, dass sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. In allen Mitgliedsländern der EU müssen sich nun nicht nur Männer mit "Frauenthemen" befassen, umgekehrt sollen vor allem Frauen in Bereiche vordringen, die als "männerspezifisch" gelten. Außen- und Sicherheitspoltik werden weltweit als "harte" männerdominierte Politikfelder eingeschätzt. Die Podiumsdiskussion der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung zeigte denn auch deutlich, dass die Verständigung über Geschlechterdemokratie in diesen Bereichen erst am Anfang steht - vor allem im strukturkonservativen Deutschland, das sich in Sachen Frauenförderung europaweit auf den hinteren Rängen eingenistet hat.

Sind Frauen diplomatischer?

Der Stellvertretende Leiter der Zentralabteilung des Auswärtigen Amtes, Heiner Horsten, wollte solche Fragen nicht beantworten. Er erklärte gleich zu Beginn der Veranstaltung, dass diese Diskussion zunächst für ihn, den Genderbeauftragen seines Amtes, eine Herausforderung ist. Neben dem beschäftigungspolitischen Zugeständnis - mehr Einstellungen von Frauen in den auswärtigen Dienst - mochte er sich daher auch nicht auf inhaltliche Statements festlegen lassen.

Eigentlich spielen Frauen keine Rolle....

Dorothee Müller-Lankow von der Wehrtechnik produzierenden Firma BAE Systems stellte zunächst die Herausforderungen der Rüstungsindustrie dar: Es müssten Waffensysteme hergestellt werden, die den Anforderungen einer "asymmetrischen" Kriegführung entsprechen. Intelligente Vernetzung, präzise Verteidigung seien die Aufgaben, es fließen viele Gelder in die Forschung, mit der Ungewissheit, ob die Ergebnisse überhaupt zur Produktionsreife gelangen. Frau Müller-Lankow wünschte sich, dass mehr Frauen daran teilhaben würden. Eine vereinzelte Initiative sei die Beteiligung ihrer Firma am Girl´s Day, wo Schülerinnen zu Informationsbesuchen eingeladen werden. Die Frage, ob es überhaupt eine Diskussion über frauenspezifische Probleme in ihrem Bereich gibt, verneinte sie.

Gerd Höfer, SPD Fraktion und Mitglied im Verteidigungssausschuss, behauptete sogar, dass das Thema in seinem Bereich insofern keine Rolle mehr spielt, als bei der Besetzung des Ausschusses eine Frauenquote von annähernd 50% erreicht worden ist.

Konkreter wurde es dann bei Gudrun Schattschneider vom Bundeswehrverband, zu deren Aufgaben die Interessenvertretung der weiblichen Bundeswehrangehörigen gehört. Sie berichtete, dass die besonderen Belange von Frauen in der Bundeswehr nicht diskutiert wurden, solange Frauen lediglich Dienst als Sanitäterinnen verrichtet haben. Das hat sich plötzlich verändert, als Frauen auch im aktiven Truppendienst tätig werden durften. Familienfreundliche Dienstpläne, weibliche Dienst- und Berufsbezeichnungen usw. wurden damit zu einem "offiziellen" Thema bei der Armee. Dennoch müssen sich die Soldatinnen mit männlich geprägten Strukturen auseinandersetzen. Z.Zt. verrichten nicht einmal 6 % weibliche Soldaten den Dienst bei der Bundeswehr. Sie bezweifelt, dass bei einem so geringen Frauenanteil die Armee in der nächsten Zeit "weiblicher" wird, was auch immer darunter zu verstehen ist.

Ist Krieg männlich? Ist Frieden weiblich?Die plakative Frage stellte Dr. Cornelia Ulrich von der Arbeitsstelle Transatlantikstudien an der Freien Universität Berlin. Ihr Thema sind die sprachlichen Konnotationen, die Zuschreibungen von "männlich" und "weiblich" im Zusammenhang mit der internationalen Politik, aktuell vor dem Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen. Als Beispiel nannte sie eine Äußerung des amerikanischen Außenministers Powell im Irak-Krieg, Frankreich sei "verweiblicht" - als Vorwurf und in herabsetzender Absicht vorgetragen. Das verbreitete Klischee: Wehrhaftigkeit ist männlich und in einem Krieg ist das Weibliche weniger wert, gilt selbst noch in Ländern, in denen Frauen Militärdienst leisten. Außen- und Sicherheitspolitk ist "hart", da trifft man auf internationalem Parkett überwiegend auf Männer, dagegen ist Entwicklungspolitik "weich", dieser Politikbereich wird Frauen überlassen. Wenn schon in Friedenszeiten in einem als chaotisch empfundenen Umfeld immer mehr Waffen angehäuft werden, bleibt von der Gleichung Frieden=weiblich nichts mehr übrig. Kommt es in kriegerischen Auseinandersetzungen zu frauenspezifischen Menschenrechtsverletzungen - wie jüngst in Jugoslawien, ist es überfällig, dass Frauen aktiv selbst außenpolitsch eingreifen.
Frau Ulrich bemängelte, dass in der Vergangenheit feministische Politikerinnen ihre Aufgaben auf der internationalen Arena vornehmlich im Bereich der NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) gesehen haben, in diesen Organisationen sind überwiegend Frauen vertreten. Gender Politik soll politisches Engagement der Frauen in Regierungspolitik transformieren.

Männer sind nicht die Normalfälle - Männer sind Männer!

Prof. Dr. Susanne Baer, Verfassungsrechtlerin von der Humboldt-Universität Berlin, befasst sich mit vergleichender Forschung über Frauenrechte in der internationalen Rechtskultur. Sie stellte zu Beginn ihres Beitrags klar, dass im modernen Rechtsverständnis Menschenrechte eben nicht neutral, sondern immer auch Frauenrechte sind. Verfassungen sind zunächst nur Absichtserklärungen, die auf dem Papier stehen. Erst wenn diese Postulate in der Rechtspraxis umgesetzt werden, gibt es Geschlechterdemokratie. Dass dies ein langer Prozess sein kann, sehen wir - schmerzlich - am eigenen Beispiel, an der Bundesrepublik Deutschland. Hier ging man in der Rechtspraxis davon aus, dass Männer "Normalfälle" seien und Frauen gegebenfalls besonderer Regelungen bedürfen. Dass Frauen genauso normal sind wie Männer, muss nach der Gender Mainstreaming Richtlinie nun umgesetzt werden. Das führt dazu, dass immer noch Gesetze verabschiedet werden müssen, die das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes von 1949 für die tägliche Gerichtspraxis durchführbar machen.
Frau Baer war als Verfassungsrechtlerin in Afghanistan bei der Erarbeitung einer afghanischen Verfassung beratend tätig. Sie berichtete über den schwierigen und konfliktreichen Prozess in einer von muslimischen Glaubensvorstellungen geprägten Rechtssprechung. Es besteht dabei die Möglichkeit, dass trotz internationalen Drucks Frauenrechte nicht in dem geforderten Umfang in die Verfassung Eingang finden. Konkret: Wenn in Afghanistan eine Männerdemokratie entsteht, stellt sich für die internationale Gemeinschaft die Frage, wie sie darauf reagiert. Trotzdem war Frau Baer optimistisch im Hinblick auf den Prozess der Verständigung über eine künftige afghanische Rechtskultur. Zusammen mit muslimischen Geistlichen, Warlords und mit - fortschrittlichen, aber eben auch mit konservativen - Frauenvertreterinnen an einem Tisch zu sitzen und über eine geregelte, gesetzlich abgesicherte Zukunft zu sprechen, schon dieser Prozess sei ein wichtiger Schritt für das Land.

Fazit:

Es gibt auf dem außenpolitischen Feld für Frauen Aufgaben und Herausforderungen von unterschiedlicher Wichtigkeit, bei denen wir teilweise erst am Anfang stehen: Angefangen von der Einladung von internationalen diplomatischen Delegationen in örtliche Frauenprojekte - um zu gewährleisten, dass das Engagement von Frauen international sichtbar wird -, über die Anerkennung von frauenspezifischen Asylgründen in der Bundesrepublik, bis hin zur Präsenz von Frauen in Kriegsverbrechertribunalen und der Vertretung von Fraueninteressen in internationalen Organisationen wie der UNO. Die Gender Mainstreaming Richtlinie soll dabei helfen, dass Frauen auf internationaler Ebene in Erscheinung treten und künftig auch mitentscheiden können.

Siehe auch unter: Friedrich Ebert-Stiftung


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Beitrag vom 05.05.2003

Gerlinde Behrendt